Sebastian Lehmann, William Wahl, Fatih Cevikkollu
von Gilles Chevalier
ST. INGBERT – Die zwölf Finalisten im 34. Wettbewerb um die St. Ingberter Pfanne kämpfen um vier Preise, die mit jeweils 4.000 ,- € dotiert sind. Die Jury verleiht zwei Preise, jeweils einen Preis verleihen die Jugendjury und das Publikum.
Der erste Teilnehmer ist Sebastian Lehmann, der Ausschnitte aus seinem Lesebühnen-Programm „Elternzeit“ zeigt. Der Mittdreißiger aus dem Breisgau lebt in Berlin und bringt die Telefonate mit seinen Eltern auf die Bühne. Die sind gut situiert und sorgen sich um den freischaffenden Sohn.
Lehmann spricht diese Dialoge mit verstellter Stimme – allerdings sehr dick aufgetragen und recht monoton. Positiv dagegen ist, dass kein Dialog länger als drei Minuten dauert. Ob das mit der Vermarktung der Geschichten in einigen Radiosendern zu tun hat? Gut auch, dass manche Figuren aus den Geschichten unvermittelt wieder auftauchen. Das dann Entstehende beweist dem Zuschauer, dass er doch länger als drei Minuten einem Vortrag folgen kann.
Die drei Minuten sind auch für den zweiten Teil von Sebastian Lehmanns Vortrag wichtig. Hier präsentiert er Lyrik, die auf den größten Hits der letzten dreißig Jahre basiert. Der Clou: Er lässt die Texte von Google übersetzen. Klar, dass da völlig neue Textwelten entstehen. Das Publikum applaudiert begeistert.
Für William Wahl wird ein Flügel ins rechte Licht gerückt. „Wahlgesänge“ heißt das Programm des Künstler, der auch in der a-capella-Formation basta aktiv ist. Aus ABBAs „Chiquitita“ macht er ein Chanson, das sich um die „schicke Kita für unser Kind“ dreht. Wahl träumt von einem veritablen Shitstorm ganz für sich allen, der ihn in einem Crescendo regelrecht zu verschlingen scheint.
William Wahl ist ausgesprochen abwechslungsreich und überzeugt mit hoher Musikalität. Botschaften, sagt er, habe er keine. „Gönn Dir doch ein kleines bisschen Hass“ schlägt er vor, denn wer dauerhaft nur Gutes tut und denkt, kann kein ausgeglichener Mensch sein.
In „Glücklich“ singt er von einer gescheiterten Beziehung. Dabei sieht er noch immer das Positive seiner Verflossenen, obwohl die bereits mit einem neuen Partner zusammengezogen und in anderen Umständen ist. Immer lauter und aggressiver wird dabei das Lied und das Gefangensein des Sängers in seiner Gefühlswelt wird geradezu körperlich erlebbar. Kein Zweifel, William Wahl empfiehlt sich als guter Unterhalter. Das erkennt auch das Publikum und dankt mit begeistertem Applaus.
Der Kleinkunstpreis der Stadt St. Ingbert sei ein Förderpreis, heißt es im Programmheft. Deshalb muss Fatih Çevikkollu hier als Außenseiter gelten. Dieser Kabarettist ist bereits etabliert. Ausschnitte aus seinem Programm „FatihMorgana“ hat er mitgebracht.
Gleich zu Beginn stellt er klar, dass eine Fata Morgana eine Luftspiegelung ist und keine Illusion. Das gibt die Richtung seines Vortrags vor. Die Veränderungen durch die Digitalisierung beschäftigen ihn. Die Rechenkapazität habe sich so stark entwickelt, dass es in der Zukunft zu einer Verschmelzung von Mensch und Maschine kommen wird. Çevikkollu bewertet das ausdrücklich nicht. Aber er fordert, positive menschlichen Eigenschaften wie Empathie und Hilfsbereitschaft bei der Schaffung der neuen Wesen nicht zu vergessen.
Çevikkollu unterscheidet zwischen digitalen Eingeborenen und digitalen Migranten. Die Grenze liegt ungefähr beim 30. Lebensjahr. Den digitalen Migranten bleibt nichts anderes übrig, als sich den digitalen Eingeborenen anzupassen und den Umgang mit dem Neuen zu lernen. Nachvollziehbar und sehr geschickt, denn der Schritt vom digitalen Migranten zum realen Migranten liegt auf der Hand.
Der Wunsch nach der guten alten Zeit führe nicht weiter, wie die politischen Führer der USA, Großbritanniens und der Türkei gerade eindrucksvoll beweisen. Auch der Wunsch nach einer deutschen Leitkultur bringe nichts, denn das sei ein unbestimmter Rechtsbegriff. Alle Definitionsversuche die er kenne, sind „ausgrenzend, fremdenfeindlich und dumm, kurz AfD“, sagt Çevikkollu in seinem geistreichen Programm. Das Publikum dankt mit sehr herzlichem Applaus.
GC, 8. September 2019, © 2019
Fotos: Rainer Hagedorn