Kabarett und Comedy, Varieté und Musik, Straßentheater und Performances, Poetry Slam und A Cappella-Gesang auf vier Bühnen
von Marianne Kolarik mit Fotos von Linn Marx
Den einen war der Weg von der Bushaltestelle zum Eingangsportal zu lang, die anderen beschwerten sich darüber, dass es vor Halle 2 zu klaustrophobisch anmutenden Menschenansammlungen kam – Mosern gehört zur Internationalen Kulturbörse Freiburg (IKF) wie der Fisch zum Fahrrad. Rund 180 Auftritte von Kleinkünstlern jedweder Couleur, 350 Aussteller und cirka 4000 Besucher verleihen dem drei-Tage-Marathon in Sachen Kabarett und Comedy, Varieté und Musik, Straßentheater und Performances, Poetry Slam und A Cappella-Gesang ein wenn schon nicht scharf geschnittenes, so doch in allen Farben schillerndes Profil.
Nicht zu vergessen: der „man trifft sich und tratscht miteinander“-Effekt. Einsamer Höhepunkt: Susanne Fünderichs Stand in Halle 2, wo zusammen kommt, was zusammen gehört. „Rauchen & Saufen Oberhausen“, so das Motto des von der „Grubenblumen“-Agentin initiierten Trinkgelages, dem Jochen Malmsheimer als Wirt seinen großzügigen Stempel aufgedrückt. Herrlich.
Länderschwerpunkt war diesmal Österreich. – Eine gute Wahl, wie sich zeigte, bringt das kleine Land mit den vielen Bergen doch beachtliche Talente aus dem Bereich Kabarett & Co. hervor.
Das „Special 10: Szene Wien“ erwies sich als einer der originellsten, außer Konkurrenz laufenden Günther Paal alias Gunkl hatte man einen der klügsten Köpfe für die knapp zweistündige Melange aus Scherz, Satire und schwarzem Humor engagiert. Da wurde glasklar, was es mit einer fraktal organisierten Kunst auf sich hat: ein vielfältig gegliedertes Gebilde wie etwa die verzweigten Adern in einer Lunge.
In der Annahme, dass die wenigsten in Deutschland wissen, was ein Strotter ist, hier die Übersetzung aus dem Österreichischen: ein Gauner oder Landstreicher, einer, der nach etwas Verwertbarem sucht. Letzteres tun Klemens Lendl (Geige) und David Müller (Gitarre) unter dem Namen „Die Strottern“. Der Müllberg, in dem sie wühlen, besteht aus alten Gstanzeln, Couplets und Wiener Liedgut, das im Laufe der Jahre so manch’ reaktionären Unflat angezogen hat. Den entfernt das Duo – und zwar gründlich. Tom Waits lässt grüßen, wenn sie ihre Stimmen erheben. „Jeder Mensch macht dasselbe – nur auf seine Art“, geben sie zu bedenken. Stimmt: das, was sie machen, hat tatsächlich eine Art.
Mit gemischten Gefühlen betrachtet die Feministin den Auftritt von Gery Seidl, ein stattliches, 40jähriges Mannsbild, das sich traut, die 96 Paar Schuhe seiner Frau zu erwähnen („für zwei Füße“) und die Kalamitäten ihres gemeinsamen Umzugs ins gutbürgerliche Waldviertel zu thematisieren – warum wohl? Klar, die Frau will es so. Wer jetzt an einen gewissen Mario Barth denkt, liegt dennoch falsch: Seidl kann nämlich spielen und besitzt überdies eine variationsreiche Stimme.
Den (in Kärnten beheimateten) Vogel schossen allerdings die beiden Zwillingsschwestern Birgit und Nicole ab: RaDeschnig nennt sich das Duo: einfach zum Dahinschmelzen. Böse Texte, vorgetragen in volkstümlicher Manier wie der Song „Da Franz“ („Am Dachboden, da stehen die Sachen vom Franz“), begleitet von Akkordeon und Klarinette, angereichert mit Jodlern und Juchzern, entfaltet dank der Kontraste eine eminente Wirkung auf den Zuhörer.
Dass sie überdies singen können – beide haben unter anderem eine Ausbildung am Wiener Konservatorium für Unterhaltungstheater absolviert – eine überaus einnehmende Bühnenpräsenz besitzen und verdammt komisch sein können, macht sie zu den raren Entdeckungen der Messe.
„Fuck“ Thomas Maurer wiederum ist schon etwas länger im Geschäft: sei es als Solo-Kabarettist, Kolumnenschreiber oder bei Fernsehproduktionen: wenn er mit Anglizismen um sich schmeißt, dann, weil manches sich auf diese Weise prägnanter ausdrücken ließe. Dabei gehört er zu der Generation von Cineasten, die mit einer überschaubaren Weltordnung groß geworden sind: auf der einen Seite die hinterhältigen Russen, allesamt kommunistische Bösewichter, auf der anderen die guten Amerikaner als Retter aus der Not. „Damals war der Kapitalismus gemütlicher“, konstatiert Maurer. Wie recht er hat.
Auch Paal muss man beipflichten, wenn er anmerkt, dass es Menschen gibt, die Vorbehalte gegenüber der Pantomimen-Kunst haben. Marcel Mohab führt Kartentricks ohne Karten vor und füttert unsichtbare Tauben („fucking foreigners“). Dabei ist er selbst ein ziemlich schräger Vogel. Ex-Global Kryner Christof Spörk wiederum weiß allerhand Wissenswertes von unseren Nachbarn zu berichten – zu Volksmusik-Klängen, die er der Steirischen Harmonika entlockt. Da erfährt man, dass seine Heimat ganz vorne ist, was Lärmschutzwände angeht und dass sich nach einem Zusammenprall von Auto und Rehbock die Reparatur des Wagens nur lohnt, wenn die Kosten eine Neuanschaffung nicht überschreiten – was sich auf Männer „von Anfang an“ und auf Frauen ab Anfang 40 übertragen ließe.
Ebenfalls aus Österreich – genauer: aus dem südsteirischen Weinland – kommt Betty O. (wie Oswald), die den Theatersaal 2 im Rahmen der Live-Auftritte aufmischte und dafür am Ende mit der Freiburger Leiter beglückt wurde. Zehn Jahre war sie als Musical-Darstellerin unterwegs bis sie eine eigenständige Form des gehobenen Entertainments entdeckt hat: Singen, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, feine bis gemeine Spitzen auf ihre Landsleute abzufeuern oder eine Hommage auf den Traktor komponieren: „The King of the Trakta“, heißt das Lied. Ein anderes „Da Seppl“, ein Love-Song für einen Bernhardiner oder die lustige Abba-Parodie „Mami Mami Mami“. Kurz: wir wollen mehr von ihr sehen.
Das gilt auch für Werner Brix, eine kabarettistische Rampensau par excellence. Was ein Riesenkompliment ist. „Mit Vollgas zum Burnout“ heißt das Solo-Kunststück, mit dem er die Selbstoptimierungs-Gesellschaft in all ihren Facetten ad Absurdum führt. Der Mann auf der Bühne, über seine Hose hat er eine orangefarbene Decke gewickelt, redet sich um Kopf und Kragen. Alle paar Minuten klingelt das Handy, er muss einem Mitarbeiter Anweisungen geben, Mutter und Tochter rufen an, obwohl er beim Therapeuten sitzt. Vor Erregung bekommt er einen Schluckauf, in seinen Ohren pfeift es. Er sagt Sätze wie „ich glaube an die Kraft von Geschirrspülertabs“ und beklagt das viele Gerede („wenn jeder diskutiert und keiner mehr sauft“). Hier steht das bis in seine feinsten Verästelungen glaubwürdige Abbild eines Gehetzten am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Beeindruckend.
![Werner Brix IKF 2015 - Foto © Linn Marx 142a]()
Zur Erinnerung: Wir befinden uns immer noch im Dunstkreis von Wien, dort, wo man die Deutschen Piefkes nennt und der Schmäh rennt (d.h. gute Stimmung herrscht). Von daher kommt auch Andreas Vitásek, der – wie alle anderen – 20 Minuten Zeit hat, um aus seinem Leben zu erzählen. Mit dem „Sekundenschlaf“ legt er nicht nur sein zwölftes Solo-Programm vor, er zieht auch so etwas wie Bilanz: Mit traumwandlerischer Sicherheit fegt er durch die Jahrzehnte, erklärt den Paradigmenwechsel und dass die Zeit keine feste Größe ist. Dass diese indessen viel zu schnell vergeht, spricht für die Qualität seiner poetisch unterfütterten Geschichten, denen man stundenlang zuhören könnte.
Was sich über den Derwisch alias Aret Aleksanyan nicht unbedingt sagen lässt. Der armenischstämmige Türke aus Wien erzählt von seinen diversen Lebensgefährtinnen, die – wie es der Teufel will – allesamt Germanistik studiert haben und dem Klischee entsprechend kratzbürstig auf sprachliche Ungereimtheiten reagieren. Eine der interessantesten Kombinationen aus dem Geist Österreichs und Deutschlands bestand in dem gemeinsamen Auftritt von Günther Paal und Uta Köbernick.
Die Liedermacherin verdreht dem Philosophen den Kopf und verschwindet in einer komplizierten mathematischen Frage. So ähnlich ließe sich der Abend nennen, in dessen Verlauf Paal den Unterschied von Tapferkeit und Mut aufdröselt. (Tapferkeit: Das Unvermeidbare durchzustehen. Mut: sich dem Vermeidbaren zu stellen).
Womit wir einen dicken Strich unter die Präsentation des Nachbarlandes ziehen, obwohl längst nicht alle Künstler erwähnt worden sind. Viel Lob heimste auch der „total verrückte“ Bauchredner und Entertainer Tricky Niki und der Klaviervirtuose Otto Jaus ein. Die sich jährlich einstellende Krux der Messe besteht schließlich darin, dass sich der gemeine Zuschauer nicht teilen kann und leider auch über ein begrenztes Aufnahmevermögen verfügt. Es gilt also eine Auswahl zu treffen – was dazu führt, dass so mancher Künstler, der es verdient hätte, unerwähnt bleibt.
Deswegen hier eine sehr persönliche „Hitliste“, angeführt von der bezaubernden (ja, das ist sie tatsächlich) Musikerin Katie Freudenschuss (nein, das ist kein Künstlername), die sich am Dienstagmorgen in ihr kleines Schwarzes quetschte, um den „kleinen Dingen etwas Pathos“ zu verleihen. Gefolgt von Till Reiners, der ganz andere Probleme hat. Er weiß nämlich nicht, wie er sein möchte: klar, authentisch, aber bitte nicht zu sehr. Statt dessen erinnert er sich gut daran, ein dickes Kind gewesen zu sein, das ob seines Körperumfangs immer im Tor stehen musste. Jetzt geht’s um die viel beschworene Selbstoptimierung, was nichts anderes bedeutet, als dass man damit protzt, besser als alle anderen zu sein.
Starbugs wiederum sind drei äußerst gelenkige Männer aus der Schweiz, gesegnet mit fulminanter Körperbeherrschung, Witz und Einfallsreichtum. Unter der Regie von Nadja Sieger (der weibliche Teil von Ursus & Nadeschkin) ist ein mitreißendes Programm entstanden, das Komik und Sport ungeniert miteinander verbindet und nicht nur kindliche Gemüter Staunen macht. Bernd Budden erinnert dagegen ein bisschen an Konstantin Wecker: Seit einem Jahr steht der versierte Klavierbegleiter (unter anderen für „Pfoten hoch“, Frizzles und die WDR-Sendung „Zimmer frei“) als Solist auf der Bühne – und zeigt, dass er auch sprachlich auf der Höhe der Zeit ist. Etwa mit seinem entschieden vorgetragenen Anliegen: „Jeder hat das Recht auf eigene Gurken“. Das musste mal gesagt werden. Nicht unbedingt in jedermanns Humorzentrum trifft Marek Fis. Der ursprünglich aus Polen kommende Stand-up Comedian setzt ganz auf den Charme des Proleten („Es gibt immer noch einen prolligeren Assi als mich“), beherrscht diverse Dialekte und stellt lakonisch fest, dass in Polen keine Islamisten leben.
Dass zur Messe nur junge, aufstrebende Talente eingeladen werden, ist ein weit verbreiteter Irrtum. Hier tummeln sich vielmehr eine ganze Reihe bereits etablierter Künstler wie der Berliner Lesebühnenautor Andreas „Spider“ Krenzke, der seine Geschichten gelassen und routiniert vorliest, zum Beispiel die von der Zeit vor dem Mauerfall. Auch Martin Hermann gehört mit seinem Salonkabarett zu den bekannteren Nasen: ein Charmebolzen mit esoterischer Taschenharfe, die sich bei näherem Hinsehen als Eierschneider entpuppt.
![Martin Hermann & Andreas Spider Krenzke IKF 2015 - Foto © Linn Marx]()
Um Liebe und Hass zwischen Güter- und Personenzügen, Gaumensex und Bioravioli aus Bodenhaltung geht es unter anderem bei Roman Weltzien. 1978 in Chemnitz geboren und lange als Schauspieler an diversen deutschen Bühnen unterwegs, gehört er durchaus zu den vielversprechenden Newcomern der Szene. Man wird ihn im Auge behalten.
Eine der raren Überraschungen: Andreas Gundlach, der auf einem selbst entworfenen Instrument namens Flügel spielt. Eigentlich wollte er Pianist werden, so ein richtiger, der die Konzertsäle der Welt füllt. Es geht aber auch eine Nummer kleiner – und kreativer.
Seinen Tasten hat er Nummern gegeben, die schwarzen spielt er mit Bällen in der anderen Hand, beim nächsten Stück bringt er nebenbei einen Zauberwürfel in seine Ausgangsposition zurück und auf einer Pan-Flöte spielt er „Take Five“ von Dave Brubeck – selbstverständlich während er gleichzeitig Klavier spielt. Unterwegs ist er derzeit vorwiegend mit Chin Meyer und mit Veronika Fischer als Bandleader, hin und wieder auch mal mit Annamateur. – Lieber Andreas Gundlach, wir möchten Sie demnächst mit ihrem Solo-Programm erleben. Und zwar hier und bald.
Wie immer, wenn nicht gerade Frau Jahnke eingeladen hat, dominieren Männer die Szene. Umso schöner, wenn eine Frau dazwischen funkt. Zum Beispiel Christin Henkel, eine aus Süddeutschland stammende Sängerin und Musikern, kommt hübsch und adrett daher, hat es aber faustdick hinter den Ohren.
Sie singt Liebeslieder, in denen es „sich irgendwie ausglebt“ hat, vom Surflehrer Klaus, der unter Burnout leidet und von Milka, der Katze, die überfahren wurde. Ihrer Freundin Birthe wurde statt Botox aus Versehen Gehirn gespritzt – mit verheerenden Folgen. All das mit wohltönender Stimme und Sinn für die Abstrusitäten des Daseins.
Vanessa Maurischat – man kennt sie als Ensemble-Mitglied von „Sekt and the City“ – aus Berlin ist eine gestandene Frau mit Lebens- und Liebeserfahrung. „Amor und Psycho“ heißt ihr Programm, in dem sie die drei Lied-Kategorien zum Besten gibt: das einfache Liebeslied, das Konfliktlied und das Psycholied. Sich selbst am Klavier begleitend plaudert sie locker über peinliche Eltern – und stellt fest, dass man diesen immer ähnlicher wird. Nein, sie ist definitiv nicht Ina Müller, aber „singen, sabbeln und saufen“ kann sie auch.
![Vanessa Maurischat & Co - IKF 2015 - Foto Beate Moeller © BonMoT-Berlin]()
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Bei den unvermeidlichen Streifzügen durchs Foyer – die Pausen zwischen den einzelnen Acts werden immer länger – begegnet man der ebenso unvermeidbaren Lilli, der „Pflaume im Speckmantel“ wie sie sich selbst bezeichnet, steinernen Riesen, die sich durch die Gänge schieben oder den beiden Höhlenmenschen, die auf einer laufenden Felsformation sitzen und seltsame Laute von sich geben, den raffiniert gemachten mobilen Skulpturen auf Rädern von Jordi Rocosa, einer mobilen Musikmaschine, die via Muskelkraft in Bewegung gesetzt wird, einer kleinen Ausstellung über „großartige Frauen in Zirkus, Varieté und Artistik“ und einem Traum-Orgel-Karussell mit den lustigen Wölkchen, ein von Orgelbauer Christian Fournier entworfenes Theaterkarussell mit Elternantrieb. Anders gesagt: Papa setzt sein Kind – es muss noch ziemlich klein sein – auf ein „Wölkchen“ und schiebt es vor sich her. Süß.
Hier noch eine Bildergalerie von Linn Marx
Fotos siehe Angaben in den Bildern, alle anderen Fotos ohne Angaben: Linn Marx
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